Über den Garten kommen wir in einen besonderen Raum‚ ein kleines Häuschen, das Schöpfungen von Gusto Gräser enthält: die Türe hat er kunstvoll geschnitzt; ein prächtig Bild ziert die ganze Wand, nackte Menschen‚ Mann, Weib und Kind in farbenfroher Landschaft darstellend. Dies und den zugehörigen geschweiften Rahmen hat Gusto gefertigt.
Ein seltenes Brüderpaar! Sie dichten beide und malen, halten Vorträge und schreiben, pflanzen, säen, graben, schlagen, schnitzen, schmelzen, nähen, bauen, schreinern. Ihr Haus und ihr Garten, ihr Stuhl und ihr Bett, ihre Bilder an der Wahd und ihre Verse und Bücher sind aus eigener Hand hervorgegangen. Was sie an sich haben, vom Kopf bis zum Fuss – sie haben es selbst gefertigt. Wörtlich ist es zu nehmen, denn Freund Gräser zeigte uns ein Paar Sandalen, die er an den Füssen trug, und erklärte uns genau den eigentümlichen Mechanismus. Es waren ausgezeichnete Wandersandalen, selbst erfunden und selbst gemacht, wie all das Werkzeug, das er dazu verwendete. –
Das Mahl kam. Frau Gräser hatte eine gute Kräutersuppe gekocht; würzige und eigens präparierte Kräuter wurden zwischen Broten aufgetragen; eine gute Masse aus getrockneten Früchten, eine eigenartige Polenta bekamen wir zu kosten – alle Speisen nenne ich nach nächst verwandten Dingen, denn alle waren eigene Erfindung‚ eigene Backwerke‚ eigene Zubereitung. – –
Wir besuchten Gräser noch einigemal, solange wir in Locarno weilten – und immer fanden wir uns herzlich zusammen. Da ist ein Mann und eine Frau, an denen nichts ist, was nicht ganz ihr eigen wäre; nichts Gestohlenes finden wir. Kein Naturmensch ist Carl Gräser, kein Kulturaffe – ein Eigenmensch, edel, groß, frei und abgeklärt, wie man wohl selten einen findet! Herzlich war der Abschied – aber das wissen wir: so oft wir zurückdenken an die schönen Tage am Lago Maggiore – an Carl Gräser “werden wir immer denken. – –
[…]Ludwig Ankenbrand, in: Die Lebenskunst, 1. Mai 1913, Nr. 9, S. 217-219.