Die beiden Namen geben viel mehr als das Schicksal einer Sammlung. Sie erzählen von ihrem Besitzer und seiner Mission.
Der Baron Eduard von der Heydt hat seine Schätze nie verschlossen. Schon in Amsterdam war das schmale holländische Haus am Keizersgracht für jedermann geöffnet. Damals trug die Sammlung den chinesischen Xamen „Yi Yuan“. Sprachkundige übersetzten das teils mit „Garten des Ausruhens“, teils mit „Hospital“. Aber die Holländer kamen nicht gerne zur Kunst. Als 1925 der Architekt Janssen in Zandvoort seinen schönen Bau zwischen Leuchtturm und Strand gesetzt hatte, geschah etwas Unerhörtes. Im Untergeschoß wurde der Muluru eröffnet. Muluru = Museum Lunch Room. Kaffee und Kuchen mit Blick auf das Meer und Streichkonzert zu genießen, ist nichts Neues. Aber in Zandvoort bekommt man gleichzeitig buddhistische Plastik, Negerkunst, angeschwemmte Bomben, vergiftete Pfeile (Abwehr gegen Böswillige) und die Sammlung der Frutta di mare des Fräulein Boissevain zu sehen. Das alles steht harmlos zwischen den Tischen herum. Der japanische Dämon guckt ins Bierglas. Vor der Südseeplastik serviert man Butterbrot. Damit der Besucher der Kunst keinesfalls entrinnen kann, gehören die Wände der Galerie Flechtheim. Die Zeitung „De Telegraaf“ hat bei der jüngsten Muluru-Ausstellung Alfred Flechtheims nicht versäumt zu erwähnen, daß er als „Korenkooper“ begonnen habe. Ueberhaupt, ohne die holländische Sprache kann man dem Muluru sein Lokalkolorit nicht geben. Seine neueste Attraktion – in der Presse und durch Anschläge angezeigt – bildet „Gymnastiek aan Zee“. Es heißt da: „Zeer geschikt voor Dames van elken leeftijd ter verkrijging en tot behoud hunner slanke lijnen.“ Für Kunst wirbt der Muluru in seinen Räumen, für schlanke Linien auf seiner Terrasse. Beides fand man früher nicht leicht in Holland.
Der Muluru ist mit „Kurios“ überfüllt. Darüber birgt das Privathaus von der Heydt noch die schönsten Negerfiguren und impressionistischen Bilder, englische Porträts und mittelalterliche Skulpturen. Die berühmte asiatische Großplastik des Barons wanderte schließlich in Berliner Museen, vor allem in die ostasiatische Abteilung. Dort begrüßte sie im November 1925 jener unvergeßliche Artikel der „Vossischen Zeitung“: „Wächter der Welt und des Todes“.
In Holland besitzt der Baron von der Heydt ein Kunstrestaurant, in der Schweiz ein Hotel, den Monte Verità zu Ascona. Daß es sich da um keine gewöhnliche Gaststätte handelt, wird man vermuten. Der Monte Verità ist geweihte Erde. Dort gründete der Belgier Oedenkofen 1901 eine wenig bekleidete Kolonie. Sie hat sich längst mit Zank in viele Richtungen aufgelöst. Alle Sekten Europas haben dann den Boden des Berges gedüngt, Vegetarianer, Gesundbeter, Nacktkulturler, Kommunisten, Spiritisten, Anthroposophen. Im Städtchen war man immerzu entrüstet. Im Jahre 1926 kam dann der neue Herr. Aus den über den Berg verstreuten Lufthütten wurden prächtige „Chalets“. Das Hotel bekam den bekannten „Komfort der Neuzeit“. Mittendrin, an einem
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magischen Punkt des Erdballs, steht wie ein Admiralsschiff Oedenkofens Holzhaus, jetzt das Heim des Besitzers. Eine große Terrasse dient nicht nur der Aussicht. Hier schreitet eine archaische Griechin, der nackten Ueppigkeit steinerner Frauenkörper aus Cambodgia dient die unvergleichliche Landschaft zum Hintergrund. Im Hause hängen viele Zeichnungen von Seurat, Bilder von Gauguin, van Gogh und Munch. Negermasken und Skulpturen aus allen indischen Bezirken stehen herum. Jeder Gast darf das alles sehen. Die Schätze haben längst auf Hotel und Chalets übergegriffen. Kein Raum blieb ohne Kunstwerke. Aber das alles sind schließlich Aeußerlichkeiten. Die Hauptsache ist der Geist des Ortes. Kleider, selbst die elegantesten, fallen ab. Man erhält bei Ankunft ein Lufthemd, den Dreß des Berges, der nur im Nacktbad abzulegen ist. Gegen Sonnenstrahlen schützt der geflochtene Tessiner Hut. Der Körper wird so für alle erdmagnetischen Ströme frei gemacht. Diese Genüsse kann nicht jeder bezahlen. Künstler, Schriftsteller, sogenannte Gelehrte haben sie am nötigsten. Der Monte Veritä hat daher immer einige dieser Ausgestoßenen zu Gast. Sie sorgen dafür, daß die Tradition des Ortes weiterlebt. Sie stellen auch die Verbindung mit der Bohème von Ascona her. Das Nest ist immer voll von Malern, Schriftstellern und Tanzschulen aller Nationen. Nachmittags badet man zusammen im Lido, dem buon retiro eines einst berühmten Boxers. Abends tanzt man mit den Tessinerinnen im „Lago“ oder im „Riposo“.
Wer den Monte Veritä kennen lernt, gewinnt eine neue Erkenntnis. Er erfährt am eigenen, nackten Leibe, daß unser Zeitalter zwar Sport und Körper neu entdeckt hat, aber nicht, wie manchmal Minister fürchten, nur um deren Kultur zu leben. Der Monte Veritä ist eines der wenigen Zentren einer neuen Intellektualität, einer Zeit, die begriffen hat, daß die neue Malerei in Frankreich eine der gewaltigsten Erscheinungen der Welt ist, einer Zeit, von der die Geheimnisse Asiens anschaulich erfaßt werden, einer Zeit, die wieder an sich glaubt.
Alfred Salmony, erschienen in: Der Querschnitt, 7. Jahrg., November 1927, Heft 11, S. 850-851. Online: Muluru und Monte Verità.