Der heilige Berg

Das Nest, welches das mächtige Kuckucksei der Labanschen Tanzkunst ausbrüten sollte, war der Monte Verità, dieser skurril-heilige Berg seltsamer Naturapostel aus allen europäischen Ländern. Er war ein halbnackts Felsgeklüft über den flachen Dächern des Dorfes und dem weit zwischen den Bergen hinziehenden See, aber allenthalben wucherte in den Spalten die Edelkastanie in ganzen Bündeln, und dem steinigen Boden, den arme verrückte Teufel in langen Haaren als Baugrund halb geschenkt bekamen, brauchte nur etwas Humus aufgelegt zu werden, daß tropische Fülle hochschoß, Bambus in langen Schäften, Weinstöcke, Gemüse, Obstbäume und Beerensträucher. Zwischen merkwürdigen Siedeleien führten geröllige Steige wie leere Bachbetten stufenweise aufwärts, oft von Rebgirlanden an granitnen Stützen überrankt, und auf dem Gipfel enttauchte der blühenden Wildnis der hölzerne Tempel des vegetarischen Speisesaals, wo beim Mittagsmahle der langmähnige härene Berghäuptling feierlich residierte.

Hans Brandenburg, München leuchtete. Jugenderinnerungen, München 1953, S. 479 f.