Einer Zuschrift der Direktion des Sanatoriums „Monte Verità“ bei Ascona in der Schweiz entnehmen wir folgendes: Der Besitzer und Leiter der Heilanstalt ist der Vegetarier Henri Oedenkoven-Hofmann. „Monte Verità“ ist lediglich der Name seines Sanatoriums; eine Kolonie oder Sekte von Naturmenschen gibt es bei Locarno und Ascona nicht. Es leben vereinzelt bei Ascona Menschen, die in Tracht und Gewohnheiten rückständig sind; diese haben aber keine Gemeinschaft mit dem „Monte Verità“. Die Lebensgewohnheiten dieser aller Kultur Fremden — worunter auch der ehemalige Regiments kamerad des früheren Erzherzogs, der ogtgenannte Offizier, zu rechnen ist, den Frau Wölfling imitiert — dürfen nicht verwechselt werden mit dem fortschrittlichen Geiste und dem reformatorischen Leben auf „Monte Verità“, woselbst alle praktische Kultur Verwendung findet. Man lebt hier nicht im Gewande der Hirten am Jordan, sondern in kleidsamer Reformtracht, man haust nicht in Ruinen, sondern wohnt in prächtigen Holzvillen, die mit elektrischem Licht, Wasserleitung, sehr guten Oefen durchaus hygienisch ausgestattet sind. Ein Bretterzaun schließt lediglich das für Damen und Männer geteilte große Luft- und Sonnenbad ein. Die Leitung der Bäder untersteht einem erprobten Bademeister. Die Nahrung auf „Monte Verità“ besteht nicht aus einseitiger Obst- und Brotkost, sondern ist sehr abwechslungsreich und vielseitig. Der Gründer des Sanatoriums ist durchaus kein belgischer Exkonsul. Ein solcher war allerdings einmal kurze Zeit auf „Monte Verità“ als bezahlte Kraft tätig; das liegt aber jahrelang zurück. Durch Beobachtung der richtigen Diät und mittelst Licht und Luft sind wunderbare Heilerfolge erzielt und sogar schon von Aerzten ersolgloss Behandelte oder Aufgegebene in vier bis sechs Monaten geheilt worden. Eine Vermengung des „Monte Verità“ mit den paar bei Ascona lebenden Vegetariern, die alle sehr einseitig leben, muß in jedem Falle vermieden werden.
Neue Freie Presse (Wien), 10. Januar 1907, Nr. 15226, S. 10. Online