Sanatorium Monte-Verità bei Ascona

Sanatorium Monte-Verità bei Ascona

am Lago Maggiore

Viktor von Scheffel, der in unserer Zeit Vielgeschol­tene und von Kuno Fischer mit dem Namen „Bierpoet“ Geschmückte, sagt einmal in einem seiner Werke: „Still liegen und einsam sich sonnen, ist auch eine tapfere Kunst.“ Welch natürliches, echtes und warmes Sonnenempfinden atmen diese Worte, die zu einer Zeit geschrieben wurden, wo noch jeder verlacht worden wäre, der nur den Gedanken geäußert hätte: Gehet hin, nehmet Sonnen- und Luftbäder, bleibet einsam, entfernt von der Menge und derem Urteil! Und das ist allerdings eine Kunst. Der Natur sich hingeben, ihr die Verantwortung der Heilkünst übertragen, wenn wir uns krank fühlen und, entfernt vom Geräusch der Welt, einsam sein Leben durchführen in der Bildung des Geistes und Gemütes: wer das kann,
gehört zu den Großen. Deshalb nennen wir ja auch groß einen Tolstoi, einen Nietzsche, einen Segantini und glücklicherweise eine stattliche Anzahl vieler anderer. Vieles haben diese Menschen überwunden, das mächtiger ist, denn alle Leidenschaften der Welt; sie haben sich selbst besiegt, sich gefunden im engsten Kontakte mit der Natur, deren edelstes Stück wir sind. Diesen Kontakt mit der Natur müssen wir alle wieder finden lernen. Auch in diesen Blättern wird oft in schönen Aufsätzen bedeutender Menschen betont: Nähert euch der Natur, nehmt in euch auf von der gewaltigen Lebensenergie in der Natur und ihr werdet euch glücklich, frei und gesund fühlen. Die­ jenigen aber, die uns ein solches Leben vorleben, vor­machen, uns dadurch ermuntern und an sich beweisen, daß ihre Lehren nützlich und segensreich sind, diese Menschen sollte man viel mehr umjubeln, viel mehr unterstützen
und viel mehr beachten, wie es tatsächlich der Fall ist. Denn es gibt deren eben nicht viel. Willen und Stärke gehören dazu, der Natur zu folgen, so merkwürdig das auch klingen mag. — Einer der Energievollsten der in Europa lebenden Sonnenmenschen ist Henri Oedenkoven, ein Holländer, auf seinem ausgedehnten Besitztums Monte-Verità am Lago Maggiore. „Welt und Haus“ brachte in Nr. 26, 1906, sein Bild mit einer kurzen Er­wähnung. Oedenkoven, sowie seine kunstsinnige Frau Ida Hofmann, sind strenge Vegetarier aus Ueberzeugung. Kaum hätte sich ein schöneres Fleckchen Erde in nächster Nähe sogenannter Kultur finden lassen zur Gestaltung des Monte-Verità. Es ist erreichbar von Locarno, dem Endpunkte der Gotthardbahn, in 45 Minuten, von der Dampferstation Ascona in 15 Minuten, also inmitten des Stromes der Vergnügungsreisen und des internatio­nalen Verkehres. Liegt doch nicht weit davon Pallanza
und dre Jsola bella! Vor wenigen Jahren war der
Monte-Verita em schlechtbewachsener unbeachteter Hügel
Heute begrüßen uns prächtige Holzvillen in einfacher
Stilart, leweils dem Standort angepaßt, umziert von
Blumenbeeten und Rasenflächen. Eine künstlerische Tat
war die Errichtung des Zeutralhauses, worin Musik-
zimmer, Spersesaal und Bibliothek (siehe Abbildung) auf
der Hohe des Bergrückens. Besonders viel ist innerhalb
der letzten zwei Jahre geschehen. Eine Wasserversorgung
wurde errichtet, elektrisches Licht in jeden Raum geleitet
und dadurch dem verwöhnten Besucher aus der Stadt
eine Konzession seiner Gemütlichkeit gemacht, wie es dem
fortfchrittlichen Geiste der Monte-Veritäner entspricht
Für den Winter find moderne, französische Scheitholzöfen
in jedem Zimmer, die hygienisch und erprobt sind. Neben
praktischen Badeeinrichtnngen für Kalt- und Warmbäder,
Sitz- und Dampfbädern, besitzt der Monte-Verita wohl
den größten umschlossenen Lichtluft- und Sonnenpark des
Südens. Darin wird geturnt, gespielt und Gartenarbeit
verrichtet. Für Kranke der Stoffwechselkrankheiten, für
Nervöse und Schwächliche, für Bleichsüchtige nnd in der
Verdauung Behinderte, überhaupt fast für’Heilung aller
Krankheiten ist der Monte-Beritä schon allein seines
milden Klimas wegen wie geschaffen. Und die Erfolge
sind günstig und äußern sich oft in geradezu hoffnungs­
losen Fällen. Aber auch der Gesunde wird bei der ab­
wechslungsreichen vegetarischen Kost, die natürlich auch
Warmspeisen bringt, mit Freuden bemerken, wie sein
Körper noch frischer wird, und eine Fröhlichkeit, ein
Wohlbefinden in ihm entsteht, die er nie kannte. Und
vor allem, man wird dabei leistungsfähiger. Wer von
Monte-Veritä wegzieht, nimmt das’unbedingte Bewußt­
sein mit nnd die Erkenntnis, daß der Mensch,’um glücklich
und gesund zu sein, gar wenig des Reizes und Raffine­
ments bedarf und allein das fröhliche Leben in und mit
der ‚Natur bei leichter ansprechender, energiehaltiger Kost,
in ungehinderter Bekleidung, die Quelle zum Strome
dauernder Gesundheit sein wird und sein kann!— Fröh­
liche Musik schallt des Abends aus dem
Musikzimmer. Frau Jda Hofmann, die stahl-
harte, ideale Gattin Henrys, ist eine Künst­
lerin auf dem Flügel. Ein Richard Wagner­
oder Beethoven-Abend auf Monte-VeritL
sind mit auserlesenem künstlerischen Genusse
verknüpft und mancher bedeutender Künstler
schöpfte sich schon Anregung und Wärme
aus solchen Abenden.— Leise brandet der
Lago Maggiore an die tiefschwarzen, wie
schwammdurchlochten Felsen, aus denen der
weiße Gischt eilig wieder heraustrieft, und
seine leichten Wellen schlagen klatschend an
die Planken der generationenalten geteerten
Schifferbarken bei Ascona. Ein Spaziergang
in dieses Nest am Lago ist sehr lohnend.
Man findet da noch malerische, italienische
Interieurs und interessante Volkstypen.
Allerdings Hotels gibt es noch nicht wie
im nahen Locarno; auch keine Kellner
und Bedienstete.— Weitere lohnende Aus­
flüge gibt’s nach allen Richtungen, auch
Schneetouren ins nahe Hochgebirge. Des­
halb, möchte ich sagen, ist der Monte-Veritä
. ein Platz für alle Schöngeistigen, der Kraft
und Schönheit Zustrebenden, und gerne von Künstlern auf-
Nie fehlt es an gediegener Unterhaltung, denn
die Pflege des Geistes geht Hand in Hand mit der harmo­
nischen Ausbildung des Körpers. Die Preise für Pensio­
näre und Kranke auf Monte-Veritä sind durchaus mäßig,
jedenfalls kaum höher wie in jedem anderen Sanatorium
Deutschlands. Wer Interesse daran findet, einen schönen
Winter zu verbringen und wer das nötige Kleingeld hat,
um der deutschen Kälte, dem nassen Nebel und aller
Feuchligkelt zu entfliehen, der komme nach Monte-Veritä
und überzeuge sich, daß in diesem kurzen Hinweise kein
Wort zu viel des Guten und Schönen gesagt wurde.
— A. W. de Beauclair.—