Frau Wilhelmine Wölfling, die sich bisher für jeden Besucher völlig abschloß, äußerte sich zu einem Mitarbeiter des „N. Wr. Tagblattes“ über ihre Ehe und die Gründe, die zur Scheiung führten, in ausführlicher Weise. Zunächst schildert sie ihr Leben mit Leopold Wölfling, dem früheren Erzherzog Leopold Ferdinand, in der einsamen Villa am Gestade des Zuger Sees. Häuslicher Fleiß ihrerseits, eifriges Studium seinerseits und gemeinsame Sparsamkeit erfüllte das junge Eheglück. Frau Wölfling nahm nebenbei Privatunterricht bei einem Frl. Lavater, um ihr spärliches, an einer tschechischen Volksschule erworbenes Allgemeinwissen zu bereichern. Über die Familie Wölflings erfährt man, daß sie dem Weltflüchtigen bald verzieh und daß besonders die greise Großherzogin ihren Leopold nie vergesien konnte. „Von seiner Vergangenheit sprach mein Mann mit mir niernals. Kein Wort kam jemals über seine Lippen über das, was er getan, daß er auf seinen hohen Rang verzichtete, nie gab es eine Anspielung, daß er Reue empfinde, und auch sein Benehmen verriet nicht, daß ihm sein Schritt leid tat. Aber es gab doch wieder Manches, was ihn wieder heimzog. Er fuhr gern noch Lindau, wo seine Eltern häufig weilten, aber nicht bloß, weil er sie sehen, sondern weil er an die Plätze wollte, wo er als junger Erzherzog, als Knabe, gewesen.“
Eine Bekehrung
Und nun fährt Frau Wölfling in ihren Mitteilungen fort: „Im Mai 1904 besuchten ich und mein Mann die Kolonie in Askona. Ich brauche von dem Leben der Leute dort wolhl nicht erst zu erzählen. Jeder hält es, wie ihm beliebt. Man ist nur zumeist Landmann, weil man sich die Früchte bauen kann, die man braucht, um sein Dasein zu fristen. Der eine baut Erdäpfel, der andere Kohl oder Spinat, ein dritter Erbsen u. s. w. Auch die Weinrebe wird gepflanzt, jedoch nur, um den Wein, den man gewinnt, zu verkaufen. Denn in Askona ist der Alkohol verpönt, geradeso wie das Fleischessen. Jedermann dort ist Vegetarianer… Mir und meinem Manne gefiel es sofort. Als Neugierige waren wir gekommen und als Bekehrte gingen wir fort.
Es dauerte nicht lange — und wir waren wieder in Askona. Eine ganze Woche blieben wir dort, um Sitten und Gebräuche kennen zu lernen. Und wie wir dann Askona verließen, stand es in uns fest, zu leben nach der Weise jener Leute, Vegetarianer zu werden wie sie, uns gleich ihnen zu kleiden, einfach und recht schlicht, und uns schließlich auch das Haar lang wachsen zu lassen. Sofort nach unserer Heimkehr nach Zug wurden Fleisch und Alkohol vom Tische verbannt. Wir lebten nur mehr von Pflanzenkost. Dabei war ich die strengere. Meinem Manne behagte die neue Lebensweise. Nie werde er Fleisch oder Alkohol genießen, rief er ein- über das anderemal, es gäbe nichts Gesünderes, als den Vegetarismus. Die Gräser waren für mich gleichsam ein rettender Engel, denn mit ihnen voll zog sich in meiner Seele ein gänzlicher Umschwung …“
Die ersten Zerwürfnisie und die Trennung
Frau Wölfling fuhr fort: „Auch in mir vollzog sich, seitdem ich in Askona gewesen, ein Umschwung. Ich redete darüber mit meinem Manne unum wunden. Ich eröffnete ihm, was mich tief bewegte, und erklärte, daß ich in allem und jedem so leben wolle wie die Kolonisten. Mein Gatte war einverstanden. Ich gestehe, ich war seit ASkona eine Schwärmerin geworden, allein nie tat ich etwas ohne öder gegen meinen Mann. Monatelang giirg
es in diesem neuen Geleise, nichts deutete darauf,
daß mein Mcmn nicht mehr an mir hänge wie
vrrst, und doch war er mir — zu spät scch ich es —
in der Zwischenzeit entffemdet worden.
Kurz vor Weihnachten 1905 trat Wölfling eines
Tages zu mir ins Zimmer und sagte, er habe von
seiner ‚Schwester Luise, ^damals noch Gräfin Monti-
gnoso, aus Florenz einen Brief erholten, worin sie
ihn dringend um seinen Beistand bat. Man wolle
ihr die klein« Monika abnehmen, er inüsse sie
lchützen, flehte die Gräfin. „Ich bin im größten
UngLck, in größter Gefahr,“ fii-gte sie dem noch
in ergänzerrden Depeschen hinzu. Bevor er zu ihr
kcnrme, hatte sie in dem Briefe geschrieben, müsse
er sich unbedingt die Mähne und den wollenden
Bart scheren lassen, denn er sehe so wie ein Wilder
aus. In aller Eile rief er mir zu, er reise unver
züglich zu «seiner Schwester und werde in 24 Stun
den zurück sein. Doch er kam erst nach vier Tagen.
Und wie verändert sah er aus!
Wölfling kam ohne seinen langen Bart und ohne
seine Mähne. Beides war grüirdlich weggeschert
werden. Ich war damals enffetzt, versteinert bei
seinem Anblicke. Wölfling war aber auch innerlich
in seinem Wesen und Benehinen mir fremd ge
worden. Kalt stand er mir gegenüber, frostig sprach
er mit mir, so daß ich ganz zusammenschauerte.
Er sagte noch: „Luise ist fertig“, ohne die
Bcnnerkung näher zu erklären, und verließ mich.
Kurz nachher trat er wieder bei mir ein. Mir
war sähr bange geworden.
„Du,“ rief uh chm zu, „e s w e h t hier Hof
luft, Du willst mich nicht mehr!“
Er schwieg. Nach einigen Minuten frage ich
ihn. was denn eigentlich vorgefallen, was er gegen
mich ttur habe!
Wölfling erwiderte: „Ich werde Dich ver
lassen und zu Dir >nie mehr zurückkchrenl Lebe
Wohl!“
Ich kann iknn noch zurufen: „Luisenworte!“
die er hört: dann ist er mit einer raichen Bewe
gung bei der Tür, verschwindet und ich sehe ihn
lange, lange nicht möbr, iehe ihn nur noch ein
einzigesmal flüchtig, unmittelbar vor der Schei
dung. Was seit feiner Reise, von der er zu mir als
ein ganz anderer zurückgekonrmen, vorgefallen, ist
mir niernals klar gesagt worden. Ich habe seine
Enffremidung auch dem Einfluß seiner SÄwester
Luise, jetzt Frau Tofelli, zugeschrieben . . .“
Dann erzählt Frau Wölfling ihre Erlcknisse
in Genf beim Rechtsannxtlt Lochenal und dos
letzte Wiedersehen vor der Scheidung:
„Am 5. März, das Datum wird mir im Gedächtnis
hatten, bin ich dann in der Villa Hildebrarrd und
warte da aus meinen Mann. Er kommt viel
später. Langsam: tritt er zur Tür herein. Kalt blickt
er müh an. Ich hatte gehofft, daß ich ihn zur Be
sinnung bringen, ihn wiedergewinnen könnte, doch
wie ich ihn so sehe, sinikt mir der Mut.
,/Tag‘ mir, warum bist Du so fremd, was hast
Du gegen mich?“ rufe ich ihm flehentlich zu.
„Ich will von Dir nichts mehr
wissen,“ erwiderte er ruhig und eistz.
„Wir liebten unS doch so innig, verstanden
uns doch seelisch vollkornmen, lass‘ diele Dinge
wieder und werden wir wie einst!“ beginn« ich
von neuem und eil« mit offenen Armen auf
ihn zu.
Wölfling weicht aber vor mir zurück und
streckt mir die behandfchutzten Hä»d« entzege», in
dem er hefffg äußert: „Rübr‘ mich nicht an.
Seinen ^ritt weiter, ich mag Dich nicht.“ Voll
Vergiftung will ich mich ihm wieder nähern,
allein er weist mich ebenso schroff wie bisher
zurück, hält die Hände vor, um mich an sich nicht
herankommen zu lassen, und erklärt ru^ und
enlschieden: „Was Lachenal gesagt hat, ist richtig.
Ich wünsche, daß die Scheidung vor sich geht.“
Dann verläßt Wölfling das Zinrmer — ich habe
ihn seither nicht mchr gesehen, habe von ihm auch
keine Zeile mehr erholten.“ Frau Wölfling be-
trachtet sich noch nicht als geschieden. Beweis dessen,
daß sie sich noch immer Wilhelmine Wölfling u,rd
nicht bei ihrem Mädchennamen Wamovics nenne,
wie es eigentlich nach schweizerffchem Gesetze nach
einer Scheidung Gesetz wäre.
Frau Wölfling erzählte noch, daß sie Schritte
einleiten wolle, um ihr materielles Verhältnis
zu Leopold Wölfling zu regeln. Von der Stunde
an, da Wölfling sich von ihr zurückgezogen, habe
er sie ohne Geld gelassen, für ihren Unterhalt nicht
mehr gesorgt. Sie lebe jetzt recht dürftig. Sie hat
eine Wohnung gemietet, die auS zwei Zimmern
bestcht und deren Johresmiete 840 L beträgt; die
Möbel seien geliehen. Erst ncich Kämpfen habe sie
die Zinsen vom Kapital von 100.000 L erhalten, da»
seinerzeit von Wölfling für sie in der Kreditanstalt
hinterlegt worden fei. Las selbst ciber von ihr nicht
angetc/tet werden durfte. Sie wird sich an die
richte wenden, um LiefeS Kcchital zu erlangen.
Grazer Tagblatt, 1908. Online