Das Ende einer Vegetarierkolonie (Salzburger Volksblatt)

Das Ende einer Vegetarierkolonie

Bekanntlich hatte sich vor einigen Jahren auf dem Monte della Verita am Lago Maggiore in der Nähe von Bellinzona eine Vegetarierkolonie niedergelassen, die im Gegensatz zu den Sitten und Gewohnheiten unseres heutigen Lebens rein naturgemäß leben wollte. Wie nun jetzt aus Ascona, dem der Kolonie zunächst gelegenen Städtchen, verlautet, ist diese Kolonie aus Mangel an Mitgliedern im Begriff, sich aufzulösen. Der Leiter des Unternehmens hat über die tieferen Gründe seines Mißerfolges dem Berichterstatter eines in Locarno erscheinenden Lokalblattes einige Mitteilungen gemacht. Es geht daraus hervor, daß auch hier, wie bei so vielen ähnlichen Versuchen, die in dieser Richtung früher schon angestellt worden sind, der Lebensdrang der einzelnen Kolonisten weit stärker war als der Wille und die Fähigkeit, der Welt zu entfliehen und zur Einfachheit zurückzukehren. Nach der Aussage des Gründers und Leiters der Anstalt auf dem Monte della Verita waren die Personen, die sich bei ihm eingefunden hatten, noch viel zu sehr mit den „Schäden und Gebrechen des modernen Lebens“ behaftet, als daß sie die Ideale hätten verwirklichen können, die ihm vorgeschwebt hatten. Den Gedanken, die Kolonie auf einer neuen Grundlage wieder zu errichten, hat er indessen nicht aufgegeben; seine bitteren Erfahrungen sollen ihm vielmehr bei einer Neugründung von Wert sein. Weit genauer will er künftig die sich zur Aufnahme Meldenden prüfen. Wegen Mangel an Mitteln ist aber an eine Verwirklichung seiner Pläne vorerst nicht zu denken. Alle Gebäulichkeiten auf dem Monte della Verita sind vielmehr samt Inventar für jeden auch nur halbwegs annehmbaren Preis zu veräußern.

Salzburger Volksblatt, 39. Jahrg., 29. August 1909, Nr. 194, S. 4. Online