Weder pazifistisch noch utopisch

Weder pazifistisch noch utopisch. In Nr. 1318 der “N. Z. Z.” nennt Herr Dr. F. Heinemann meine Schrift “lnternationale Verfassung oder Anarchie” in der Reihe pazifistisch-utopischer Kriegsliteratur. Dagegen muß ich Verwahrung einlegen. Ich bin kein Pazifist, wenn man, wie füglich, mit diesem Worte denjenigen bezeichnet, der grundsätzlich Gegner des Krieges ist, sei’s aus religiösen, ethischen, wirtschaftlichen oder sonst welchen Gründen.

Ich stamme aus einem kriegerischen Geschlecht, bin selbst bis zu meinem 40. Lebensjahre aktiver Offizier gewesen. Ich habe an mir und andern die unvergleichliche erzieherische Bedeutung erfahren, die die militärischen Ausbildung innewohnt: die von Jugend auf gepflegte Gewohnheit, seine persönliche Bequemlichteit und Neigungen, seinen Eigenwillen stets einer Idee unterzuordnen; mit dem Gedanken vertraut zu sein, das eigene Leben freudig preiszugeben für diese Idee – des Vaterlandes Größe und Ehre -, ja für den Ruhm der Fahne, der man Treue gelobt. Wer diese Einflüsse selbst durchlebt hat und weiß, daß sein Bestes damit verwoben ist, der wird den Beruf des Kriegers nicht gering achten. Jedoch vom ersten Tage dieses Weltbrandes an, dessen drohendes Kommen ich seit Jahren verfolgen konnte, war ich mir bewußt, daß ein solcher Selbstmord Europas sich nicht wiederholen dürfe und könne, und daß es deshalb Pflicht sei aller derer, die dazu nötige Sachkenntnis und schöpferische Fähigteiten besitzen, daran zu arbeiten, daß solchem Unheil vorgebeugt werde. Da ich mich von Jugend auf in den Kreisen bewegt habe, welche an der Weltpolitik aktiv beteiligt sind und deren Denkweise, Vorurteile, Möglichkeiten und Begrenztheiten kenne, so war es mir klar, daß nicht eingelne Menschen die Schuld traf, sondern das bis zum Weltkriege herrschende System internationaler Beziehungen. Dieses also müßte verändert werden.

In einer im September 1914 erschienenen Schrift versuchte ich an das bereits bestehende Haager Institut anzuknüpfen. Ich fühlte wohl das Unzulängliche des Schiedsgerichts-Verfahrens, des Mangels eines gesetzgeberischen Organs für internationale Beziehungen. Erst durch die Schrift Umanos aber wurde es mir vollkommen klar, daß es im internationalen Leben, ebenso wie im Leben eines Rechtsstaates, sich nicht darum handelt, Gerechtigkeit auf Erden herzustellen, sondern die Herrschaft eines festen Rechtes zu begründen. Da jedes Recht von einer herrschenden Macht festgestellt wird, kann es kein internationales Recht im juristischen Sinne des Wörtes geben, solange es keine organisierte und anerkannte Macht gibt, die befähigt ist, das Recht (d. h. bestimmte verbindliche Gesetze) zu schaffen und für dessen Befolgung zu sorgen.

In meiner Schrift “Internationale Verfassung oder Anarchie” suchte ich eine Lösung dieser im gegenwärtigen historischen Zeitpunkt unabwendbaren Aufgabe zu finden. Seitdem ist mehr als ein Jahr vergangen. Ich wüßte viele Verbesserungen an meinen damaligen Vorschlägen zu machen; die Grundlagen halte ich aber auch heute für richtig.

Was den Vorwurf des Utopismus betrifft, so hat ein Mann in meinem Alter (ich bin 1844 geboren) nur ein Lächeln dafür. Was ich an sog. Unmöglichkeiten sich