Ascona im Frühling (Auszug)

Was Ascona in menschlicher Hinsicht eine besondere Note verleiht, ist die kulturelle Atmosphäre, die sich hier durch herzugezogene, künstlerische Menschen entwickelt hat. Der Ort wurde zuerst vor vielen Jahren als Sitz einer Vegetarierkolonie genannt, die sich in einem Park auf dem Monte Verità angesiedelt hatte. Jene Kolonie mit ihren langhaarigen Naturmenschen ist längst verschwunden, auf dem Monte Verità ist ein sehr komfortables Hotel entstanden, mit Golf, Tennis und Fünfuhrtee. Wesentlich geistigere Menschen sind gekommen, meist Deutsche, und haben sich, bestochen durch die Landschaft und das ideale Klima, dauernd niedergelassen, andere suchen den Ort als regelmäßige Gäste auf. Die Tänzerin Charlotte Bara hat sich ein reizendes, kleines Theater im Stil der neuen Sachlichkeit von dem deutschen, seit einiger Zeit im Ort ansässigen Architekten Weydemeyer erbauen lassen. Die Tänzerin Palucca kommt zuweilen im Sommer mit ihren Schülerinnen, deutsche Schriftsteller besuchen den Ort, der zu einer Art Diskutierstätte für Philosophie, Astrologie und Okkultismus geworden ist, vor allem wohnen hier mehrere gute Maler, so der Schweizer Albert Kohler, Robert Genin, Marianne von Wereffkin, Walter Helbig, und lassen sich durch südliche Landschaft, südliche Menschen und südliches Licht bei der Gestaltung ihrer künstlerischer Gebilde anregen. So hat sich das reizende Ascona, von Natur und Klima in gleicher Weise begünstigt, zu einem in den südlichsten Teil der Schweiz vorgeschobenen Posten vorwiegend deutscher Kultur entwickelt.

Hans Bethge, in: Badische Presse (Karlsruhe), 46. Jahrg., 9. Mai 1930, Nr. 214, S. 14. Online

Hans Betghe veröffentlichte mehrere Gedichtbände, Tagebücher, Reiseberichte, Erzählungen, Essays und Dramen. Zudem war er als Herausgeber tätig und verfasste Beiträge für Zeitungen.

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Hans Bethge, Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia.